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Wir drücken die Starttaste unseres Zeitraffer-Videos. Es ist das Ende der Achtzigerjahre und ich schreibe gerade an meiner ersten Diplomarbeit. Thema: Gravurgradationen in der Offset-Tiefdruck-Konversion. Würde man heute, als Farbmanagement bezeichnen. Den Begriff gab es damals aber noch nicht.
Dabei begegnet mir erstmals eine Formel namens Relative Farbmetrische Färbung.
Abbildung 1 Formel der Relativen Farbmetrischen Färbung (RFF), (R) = Raster; (PW) = Papierweiß; (V) = Vollton
Mit ihr kann man Lab-Werte aus einer Farbmessung eines Rastertonwerts in eine optisch wahrgenommene Flächendeckung umrechnen. Ich brauche das dringend für meine Arbeit. Die Formel ist relativ einfach, einleuchtend und in einem Excel-Spreadsheet ganz schnell zusammenzubauen. In den Farbmessgeräten ist sie leider bis heute nicht implementiert.
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Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 1997. Zusammen mit einem tollen Spezialisten für Messtechnik im Druck entwickle ich eine neue Version eines bereits etablierten Optimierungsprogramms für den Flexodruck. Zeitgemäß entscheiden wir uns dafür, ein Spektralphotometer für die Farbmessungen einzusetzen und das alte Densitometer endlich zu verwerfen. Im Verpackungsdruck muss man alle Farben messen können, nicht nur die Prozessfarben CMYK!
Bald merken wir, das Spektralphotometer liefert ja für jede Messung drei Werte: L*, a* und b* sind genau zwei Informationen mehr, als ein Densitometer pro Messung liefert. Der Programmierer, der besagte Spezialist für Messtechnik, hat damit zunächst ein Problem. Er kennt diese Relative Farbmetrische Färbung als Formel noch nicht. Kein Wunder, ich musste sie Ende der Achtziger mühsam in der Literatur suchen, habe sie auch nur mit etwas Glück gefunden. Internet hatten wir damals noch nicht, geschweige denn Google-Allwissend! Beschämend ist nur, dass auch heute nur die wenigsten sogenannten Fachleute diese interessante Formel kennen.
Natürlich erinnere ich mich sofort an dieses Hilfsmittel und wir verwenden sie im Programm-code. Aber hoppla, als das Programm seine
ersten Testläufe absolviert merken wir, die nach der Messung auf passablen Drucken angezeigten Rastertonwerte sind deutlich niedriger als üblich. Gewöhnt haben wir uns einfach an die bis dahin ja noch immer eingesetzte Messung mit dem Densitometer und dessen Umrechnung nach der Murray-Davies-Formel.
Die Murray-Davies-Formel verrechnet die densitometrischen Dichten von Vollton- und Rasterfeld miteinander und rechnet den Prozentwert für die sogenannte optisch wirksame Flächendeckung aus. Aber diese Dichten sind etwas Logarithmisches. Das wurde damals gewählt, weil man erkannt hatte, dass unser Gesichtssinn nicht linear arbeitet. Der Logarithmus war die mathematische Funktion, die dem am besten entsprach und die auf den damaligen „Rechnern“ (wir reden hier von den Vierzigern!) schnell genug berechnet werden konnte. Aber dieser Logarithmus stimmt eben nur ungefähr mit dem Auge überein. Yule und Nielsen haben das in den Fünfzigern bereits erkannt und die Formel etwas abgewandelt. Blöd ist nur, man müsste den Yule-Nielsen-Exponenten kennen, und der ist für jeden Bedruckstoff irgendwie speziell.
Wir haben ein Dilemma! Wenn wir das Programm in dieser Form auf den Markt bringen wollen, müssen wir erstmal nachweisen, dass unsere Messung nach der Relativen Farbmetrischen Färbung plausibel ist. Glücklicherweise kommt uns ein junger Mann mit seiner Diplomarbeit gelegen, der die Plausibilität der Formel in wissenschaftlichen Experimenten beweist. Inzwischen haben meine eigenen Erfahrungen aus Dutzenden von Praktika und Seminaren die Richtigkeit weiter untermauert.
Wir erkennen, die Relative Farbmetrische Färbung zeigt die Rastertonwerte linear, also so wie wir sie sehen. Also haben wir endlich etwas in Händen, mit dem man die Kompensation des Tonwertzuwachses objektiv errechnen kann. Ein Tonwert von 50 % in den Daten muss einfach nur genau als 50 % im Druck gemessen werden. So einfach ist das!
>> (Fast Forward)
Wieder ein Zeitsprung. Wir befinden uns jetzt Anfang/Mitte der 2000er Jahre. Im Deutschen Drucker erschien ein hochinteressanter Artikel von einem Fachmann aus Mittweida, der erste Zweifel daran streute, dass der gemessene Tonwertzuwachs tatsächlich durch eine geo-metrische Vergrößerung der Rasterpunkte im Druck verursacht wird. Er macht mangels einer besseren Erklärung den Lichtfang verantwortlich. An einen Fehler in der ach so weit verbreiteten Murray-Davies-Formel scheint er noch nicht gedacht zu haben. Ich jubele trotzdem! Endlich hat es einer erkannt, dass da etwas nicht stimmt und ich weiß auch, dass es in dieser Murray-Davies-Formel liegt. Angeblich haben das sogar schon deren Autoren eingeräumt, aber das scheint keiner mehr wissen zu wollen.
Ich schreibe einen zustimmenden Leserbrief, der auch in Deutscher Drucker erscheint. Dastehen aber auch noch weitere Leserbriefe und es entsteht eine lebhafte Diskussion. Ich auf der Seite des Fachmannes aus den neuen Bundesländern, ein paar so genannte altgediente Fachleute auf der anderen Seite. Einer davon gibt in einem der späteren Leserbriefe wenigstens zu, dass er nicht verstanden hat, wovon ich da eigentlich rede, ein anderer katapultiert sich durch sinnfreie Polemik gleich zu Anfang aus der zivilisierten Fachwelt hinaus. Leider können wir uns aber über den errungenen Sieg nicht so richtig freuen, denn am Ende hat die Fachwelt immer noch nicht verstanden, wo denn der Fehler liegt und wie man es besser machen kann. Auch heute noch findet die Berechnungsformel der Relativen Farbmetrischen Färbung kaum Beachtung.
>> (Fast Forward)
Wir schreiben das Jahr 2014. Im bedeutenden Druckverfahren Offsetdruck (meine erste Berufsausbildung) wird immer noch mit dem Densitometer gemessen und man glaubt an den Tonwertzuwachs, den es niederzuringen gilt. Immerhin steht das ja sogar in der offiziellen ISO Norm 12647-2. Mir ist schon seit Jahren klar geworden, in Wahrheit kann da gar kein großer Zuwachs der Rastertonwerte stattfinden, wenn er überhaupt noch da ist. Das sagen mir meine Erfahrungen aus dem Flexodruck. Den messe ich nämlich schon seit langer Zeit nach dieser Formel der Relativen Farbmetrischen Färbung (bzw. meiner Abwandlung davon). Da gibt es dann tatsächlich oft noch einen gewissen Tonwertzuwachs. Der visuelle Vergleich mit dem nach Offsetdruck-Standard hergestellten Proof macht das sichtbar. Wenn aber dabei dann schon der Flexodruck fast linear gemessen wird, dann kann ja wohl im Offsetdruck kaum Tonwertzuwachs enthalten sein, wenn der im Mittelton noch etwas offener aussieht.
Anfang des Jahres kommt mir endlich die zündende Idee, wie ich das auch nachweisen kann. Ich lade mir die Messdaten FOGRA39, von denen das aktuell meist verwendete Farbprofil für den Offsetdruck „ISO Coated V2“ berechnet worden ist. Die Messdaten sind einfache Textdateien, worin man die Messwerte einfach ablesen kann, allerdings als Lab-Farbwerte. Die FOGRA veröffentlicht und aktualisiert solche Messdaten für das Farbmanagement und die Fachwelt verwendet sie willig.
Abbildung 2: Lab-Werte Tabelle
Ich suche in der betreffenden Datei nach den Volltönen der Prozessfarben und deren Halbtönen. Überdruckende Farben interessieren mich im Moment nicht. Erste Überraschung: Alle diese Vollton-Werte sind glatte Zahlen. Mir ist es in wahrscheinlich einigen 100.000 Farbmesswerten, die ich in meinem Leben persönlich gemessen habe, wahrscheinlich noch nie passiert, dass ein einziger glatter Zahlenwert im Messergebnis gewesen wäre, und hier gibt es gleich mehrere davon!
Abbildung 3 Druckkennlinien des standardisierten Offsetdrucks nach Messwerten aus FOGRA39, umgerechnet in Rasterflächendeckungen nach RFF
Kurz nachgedacht, alles klar! Die sogenannten Messdaten sind gar keine wirklichen Messdaten. Die FOGRA sammelt eine Menge von realen Messergebnissen, aber die werden nicht einfach gemittelt, sondern von einem Expertengremium in einen plausiblen Sollwert umgesetzt. Der bekommt dann natürlich sinnvollerweise einen glatten Zahlenwert. Das macht die FOGRA sehr richtig, würde ich auch so machen.
Zweite Überraschung: Nach der Umrechnung dieser Lab-Farbmesswerte aus FOGRA39.txt über die Relative Farbmetrische Färbung in visuelle Rastertonwerte finde ich nicht nur KEINEN Tonwertzuwachs, es herrscht sogar überwiegend Tonwertabnahme! Naja, so groß ist die Überraschung jetzt auch wieder nicht, das hatte ich ja irgendwie erwartet. Nur das Ausmaß ist dann doch überraschend.
Dritte Überraschung: Ausgerechnet das Schwarz „hängt am weitesten durch“, aber dicht gefolgt vom Gelb. Das Gelb übertrifft das Schwarz im unteren Tonwertbereich sogar noch deutlich an Abnahme. Um mir das zu erklären brauche ich etwas länger. Es liegt am festgelegten Papier-weiß (!! es hat auch wieder glatte Zahlenwerte !!). Das befindet sich farbmetrisch im bläulichen Bereich, weswegen die niederen Rastertonwerte im Gelb sozusagen gegenläufig verschoben erscheinen. Das ist für drucktechnische Auswertungen natürlich nicht besonders gut geeignet und ich habe mir daher auch schon lange eine plausible Abwandlung der Original-Formel der Relativen Farbmetrischen Färbung überlegt, die ich seither erfolgreich einsetze.
Summa summarum ein recht überraschendes Ergebnis! In Wahrheit druckt man bereits heute mit einer TonwertABNAHME, wenn man nach dem Prozess-Standard Offsetdruck vorgeht. Wer hätte das gedacht! Wer weiß das heute schon? Und vor allem: Warum versucht man, den angeblichen Tonwertzuwachs immer noch weiter zu reduzieren?
Im Flexodruck haben wir das längst erkannt und versuchen unsere Druckkennlinien auf eine 1:1-Übertragung, also die Diagonale, einzustellen. Besser als linear kann man nicht arbeiten! Die Tonwertabnahme kostet den Offsetdruck Zeichnung im Lichterbereich. Das müsste eigentlich nicht sein. Und wenn ich dann noch höre, dass es zuweilen ganz schön schwierig ist, diesen Standard zu erreichen, ihn also in der Druckmaschine abzubilden, dann habe ich jetzt einen ganz starken Verdacht, warum das so ist. Da kann ich – mit hoffentlich nicht zu überhörender Ironie – nur sagen, viel Glück bei den nächsten Schritten!
Stuttgart, Juli 2019 (Original: Mai 2014)
Prof. Dr. Martin Dreher
Wissenschaftlicher Leiter
DFTA-Technologiezentrum KG